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Résistance Culinaire 1

Reimann bricht in die Provence auf.



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Séguret  in der Provence

Armin Reimann arbeitete bei North Wind, die in Norwegen der Pionier von Windkraftanlagen war. Deren Anlagen waren mittlerweile weltweit gefragt und sie hatten Reimann als Projektleiter für Anlagen in schwierigen Ländern engagiert. Reimanns Aufgabe war einfach: neben den Anlagen möglichst wenig der erforderlichen Technik mit zu den Baustellen bringen, sondern lokal Maschinen und Firmen für den Bau zu gewinnen. Damit ließ sich viel Geld sparen – oder verlieren, was in letzter Zeit häufiger vorkam.

Er zauberte Geräte her, die es eigentlich nicht gab und brachte einfache Arbeiter dazu, Millimeter genau zu arbeiten. Wenn er der Typ dafür wäre, könnte er Photos von Baustellen im Eis, in Arabien oder Patagonien in sein Büro hängen. Sein Büro war klar und aufgeräumt, ein schwarzweiß Photo aus New York hing an der Wand, der Schreibtisch aufgeräumt. Er liebte die Klarheit, vermutlich als Kontrast zu den Improvisationen, die zu seinem Beruf geworden waren.

Seit knapp einem Jahr war seine Klarheit mehr gefragt als Improvisation: die finanziellen Erfolge der Projekte hatten unter dem Druck von nicht oder kaum vorhersehbaren Ereignissen oder Bedingungen gelitten. Immer häufiger verteuerten Vorschriften, Gepflogenheiten oder schlechte Infrastruktur die Arbeiten, die Reimann zu verantworten hatte. Man wusste natürlich in der Firma um die Risiken, aber niemand wollte alle einkalkulieren und meist war man zu optimistisch, um den Auftrag zu bekommen. Viele Projekte hatten mehr Geld verbraucht als einbracht.

«Meine Bohnen rufen. Kommst Du noch mal, bevor Du abreist?»

«Denke ja, wir haben noch zu tun, bevor es losgeht.» «Kaufst Du echt alle Bohnen in den Säcken? Ich meine: direkt?»

«Wo sonst? Im Supermarkt?»

«Sorry, ich kenn mich nicht aus, ich dachte, es gibt in Hamburg genug Kaffee.» «Aber nicht den. Komm am Nachmittag, dann habe ich mehr Zeit und zeige Dir mal verschiedene Sorten. Das merkt man auch als Laie … wenn man sich Zeit nimmt.»

Reimann klappte seinen Kragen wieder hoch, machte auf der Straße dann auch seinen Mantel zu und sah einen großen chinesischen Container – Frachter auslaufen. Schlepper manövrierten die riesigen Pötte, Barkassen fuhren kreuz und quer durch den Hafen. Die Kräne der Container Anleger sehen aus wie auf dem Rücken liegende Spinnen. Er war nicht weit vom Hafen aufgewachsen, seine Eltern hatten eines der Kaufmannshäuser gekauft, als sie erste berufliche Erfolge hatten. Seine Mutter als Anwältin, der Vater war Arzt.

Sie waren wenig begeistert gewesen, wenn der Junge schon als Kind lieber Richtung Hafen gefahren ist statt sich an den besseren Teilen der Hamburger Gesellschaft zu orientieren. Später als Jugendlicher war er hochgewachsen, kräftig und schnell. Sinnvolle Eigenschaften, wenn man sich den Hafen als Ort für erste Erfahrungen im Erwachsen Werden ausgesucht hat.

«Der Hafen» war natürlich kein fester Ort, sondern ein Sammelbegriff, was sich Eltern unter «die Kinder sollen gute Chancen bekommen» nicht vorstellen. Die Gegend aus Reimanns Elternhaus rechts die Straße runter Richtung Alster war, war vermutlich nicht gefährlicher als die feinere Gegend links die Straße herauf, an anderen schönen Häusern vorbei.

Das Extreme übte den größeren Reiz auf den jungen Reimann aus. Kinder von Bordellbesitzern, Seeleute, Dealer, Junkies und Penner: alles interessanter als Vokabeln lernen. Und davon traf Armin Reimann mehr, wenn er rechtsherum abbog, den wenig erfreuten Blick der Mutter im Rücken wissend. Oft genug waren die Blessuren von Reimann nicht vom Sturz mit dem Fahrrad. Die Ausrede hatte er anfangs versucht, als die Ausflüge kerniger wurden, war aber weder bei seiner Mutter noch seinem Vater damit durch gekommen.

Er war an einer roten Ampel stehen geblieben, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen war. ‹Bleib locker› dachte er sich, als er losging und dem Verkäufer im Zeitungsladen, der rauchend vor seinem Laden stand, zuwinkte. Er kaufte dort aus alter Gewohnheit Landkarten, die ihm der freundliche Türke gerne bestellte. Sie redeten oft über Reimanns Reisen und Ömer kannte manche Details, die Reimann entgangen waren. Freude, Verwandte von Ömer waren wie er in viele Ecken der Welt ausgewandert und kannten für Reimann oft wichtige Kleinigkeiten wie Buslinien, Dialekte oder auch Wetterkapriolen, die Reimann im Netz nur finden würde, wenn er danach suchte. «Schönes Wochenende, Armin.», rief Ömer und strich sich über den langsam grau werdenden Schnäuzer, den er auch nicht abrasiert hatte, als die Türkei militärisch gegen seine kurdischen Freunde agierten und er aus Wut gegen sein Land am liebsten für die Kurden in den Krieg gezogen wäre. Er war seinen Landsleuten in Hamburg oft fremd geworden und hatte viele Kunden wie Reimann, die für ihn zu seiner Heimat geworden waren. «Muss los» rief Reimann, schaute dabei auf die Uhr über Ömers Laden, der hauptsächlich davon lebte, dass man den Eindruck hatte, Ömer habe alle ausliegenden Zeitungen bereits gelesen und es nur selten etwas gab, zu dem er keine begründete Ansicht hatte, seine Kunden jedoch nie mit Geschwätz von ihren Wegen abhielt. Reimann bedankte sich über den Rücken winkend und verschwand in der U-Bahn.

Er fuhr mit der Bahn zum Flughafen, um 13.00 ging der Flug nach Frankfurt, von dort um 16.40 nach Marseille, wo er sich um halb sieben einen Mietwagen nahm, Richtung Norden in die Provence fuhr und um kurz vor neun auf dem Parkplatz in Séguret ankam. Die Kinder schliefen schon, Valerie hatte provenzalisch einen geschmorten Fisch mit Tomaten und Oliven für den Vater ihrer Kinder gekocht. Der Duft aus dem Ofen lag im Raum als Reimann leise das St. Michel betrat. «Die Kinder schlafen schon lange», sagte Valerie, als sie Reimann umarmte.

Sie standen eine Weile auf dem Balkon, obwohl es mit 15 Grad frisch war. Sie wusste, dass der Blick auf die Weinberge im Tal der Ouvèze für Reimann immer etwas Besonderes war. Was für ihn gerade dieser Ort bedeutete, wusste sie ebenso wenig wie er, aber es war für ihn Blick in etwas wie seine Heimat. Sie standen eine Weile aneinander gelehnt, bevor Valerie ihn ins Innere bugsierte. «Allez, ich hab Hunger».